— Persönlicher Erfahrungsbericht unseres Vorsitzenden Manuel —
Fast eine Woche habe ich mich vor diesem Text gedrückt. Zum einen, weil ich eigentlich hoffte, dass doch alles ganz gut sei und unsere Gegenwehr gegen rückständige Bewegungen nicht mehr gebraucht wird. Zum anderen, weil die Bilder vom Sonntag, den 28.02.2016 sich setzen mussten und mir erneut das Gegenteil meiner Hoffnung deutlich machten.
Doch von vorne.
Am vergangenen Sonntag folgte ich früh morgens mit knapp 90 Personen aus Darmstadt, Frankfurt und Umgebung dem Aufruf von vielbunt e.V.. Wieder einmal formierte sich an diesem Tag die homophobe Bewegung „Demo für alle“ in ihrer heimlichen Hauptstadt Stuttgart.
Das wollten wir und weit über 1.000 andere Gegendemonstrant_innen nicht unkommentiert stehen lassen.
In Stuttgart angekommen und mit den motivierenden Worten von Rosa Opossum ausgestattet, gingen wir von der Universität in Richtung Schloßplatz. Wir waren eine bunte Truppe verschiedener Altersklassen.
Schon 200 m vor dem Platz wurden wir, ohne Kommentar und weitere Hinweise, von hochgerüsteten Polizist_innen eingekesselt und am weitergehen gehindert. Keiner sagte uns, warum wir aufgehalten wurden. Man ließ uns nach einigen Minuten zwar gehen, aber schon dieser Auftakt zeigte mir, die Polizei ist heute hier, um die „Demo für alle“ zu ermöglichen und unsere Gegendemonstration so weit irgendwie möglich zu erschweren.
Während sich unsere Auftaktkundgebung formierte, wurden wir immer wieder Zeuge davon, wie Menschen auf dem Weg zu uns behindert und teilweise komplett durchfilzt wurden. Dabei wurden Schilder und Fahnen konfisziert, was wohl an lokalen Regelungen lag. Der Umgang mit den Demonstrant_innen war jedoch äußerst aggressiv. Es wurden, ohne ersichtlichen Grund, Personen Treppen herunter geschubst, angeschrieen und bepöbelt. Wohlgemerkt, dieser Umgang ging von den Einsatzkräften aus und gefährdete mehrfach die Unversehrtheit der Demonstrant_innen!
Um etwa 13:30 Uhr sammelten sich die Unterstützer der „Demo für alle“ langsam auf dem für sie gedachten Platz. An einem Durchgang mit Blick auf diesen Platz sammelten sich einige Gegendemonstrant_innen. Hier zeigte die Polizei das erste mal deutlich, wen sie sich als „Feind“ ausgesucht hatte. So wurde, der Grund dafür war nicht auszumachen, Pfefferspray großflächig in die Menge gesprüht und ohne Vorwarnung Gebrauch vom Schlagstock gemacht. Wer nicht schnell genug war, hatte entweder verätzte Augen oder offene Wunden am Kopf.
Langsam war das Gewaltpotenzial der Polizei abzusehen und viele der durchweg friedlichen Demonstrant_innen waren schon hier geschockt, dass man gegen sie so energisch vorgeht, obwohl sie doch nur ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen und einen Gegenpart zur politisch extrem gefährlichen „Demo für alle“ bilden wollten.
Am hauptsächlichen Zugangspunkt zur „Demo für alle“ sicherte die Polizei einen geregelten Zugang für deren „Besucher“. Obwohl dieser Zugang leicht zu finden war, drängten sich immer wieder einzelne, meist ältere, Herrschaften durch die Masse der Gegendemonstrant_innen, was im Einzelfall eventuell noch ein Zufall gewesen sein könnte, war in dieser Masse eine klare Provokation gegen uns.
Da wir eine dichte Menge auf den für uns freigegebenen Flächen darstellten, war für diese Menschen kein durchkommen. Erkannte die Polizei jedoch, dass sich diese Menschen unter uns befanden, bat man uns nicht darum Platz zu machen, oder hat uns beiseite geschoben, um die Leute dort rauszuholen. Nein es wurde direkt geschubst geschlagen und mit dem Pfefferspray gedroht. Auch hier war die Aufteilung klar. Die „Demo für alle“ war für die Polizei das friedliche Volk, das geschützt wird und wir die aggressive Horde, die es zu zähmen gilt. Leider geht diese Beschreibung jedoch klar an der Realität vorbei.
Als sich die „Demo für alle“(DfA) dann in Bewegung setzte, um ihren Demonstrationszug zu formen, gingen auch wir in Parallelstraßen entlang, um die Demo permanent kritisch zu begleiten. Auf einer großen Kreuzung sammelten sich einige Gegendemonstrant_innen und wurden wieder von einer großen Anzahl von hochgerüsteten Polizisten in Empfang genommen.
Was auf dieser Kreuzung geschah, geht für mich in das Kapitel „Wie es die Polizei schafft Demonstranten zur Aggressivität zu zwingen“ ein.
Etwa 50 m von dem geplanten Weg der „DfA“ entfernt (diese war noch nicht in der Nähe) versuchte ein Teil der Gegendemonstrant_innen näher an die „DfA“ zu gelangen. Das wurde ohne Vorwarnung und Gnade mit großen Mengen Pfefferspray und Schlägen auf die Köpfe beantwortet.
Ein Großteil der über 100 Verletzungen kam hier zustande. Und dabei handelt es sich um teilweise schwerwiegende Verätzungen und, laut meinen Informationen durch die ehrenamtlichen Sanitätsdienste, um Kopfverletzungen wie Platzwunden und Schädel-Hirn-Traumata.
Inzwischen wurde diese Situation auch von offiziellen Beobachtern kritisiert und das Vorgehen als unrechtmäßig eingestuft.
Dieses „Ergebnis“ zeigt, dass es in dieser Situation dringender medizinischer Versorgung bedurfte. So wurden die Sanitätsdienste gerufen. Ein Sanitäter war auch direkt vor Ort und kümmerte sich um die etwa 20 akutesten Fälle. Die Verstärkung kam jedoch auf der Seite der „DfA“ an und musste durch die Polizeiabsperrung.
Wer nun denkt, die Helfer_innen, die dringend benötigt wurden, wurden natürlich von der Polizei durchgelassen, irrt sich. Ich konnte beobachten, dass die Sanitäter nicht nur an der Arbeit behindert, sondern sogar mit Pfefferspray bedroht wurden.
Ich habe ja schon über Stuttgart 21 und die inzwischen zurecht verurteilten Vorgänge der Polizei damals gehört, dass aber die Polizei gegen durchweg friedliche Demonstrant_innen so vorgeht hat mich trotzdem geschockt.
Von Beginn an waren wir klar als die „gefährlichen Gegendemonstrant_innen“ abgestempelt und in unseren Rechten eingeschränkt. Dazu wurden wir permanent mit Pfefferspray bedroht, dass nicht nur griffbereit war, sondern die meiste Zeit in der Hand getragen wurde.
Man bedenke übrigens mal folgendes:
Benutzt man als Bürger_in Pfefferspray gegen einen Angreifer, muss man nachweisen, dass Gefahr für Leib und Leben bestand, ansonsten ist die Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung nicht weit.
Dieses Kampfmittel wurde hier großflächig von den Polizist_innen eingesetzt!
Aus unserer Gruppe blieben zum Glück alle von schweren Verletzungen verschont. Reizungen der (Augen-)Schleimhäute trugen jedoch auch wir teilweise davon.
Trotzdem waren sich alle einig, wir MÜSSEN wieder dort hin, wenn die nächste hetzerische „Demo für alle“ stattfindet. Dem rechten Mob, der sich mit kleinen Kindern schützt und diese dabei mit radikaler Propaganda beeinflusst und gegen andere Menschen aufhetzt, muss ein Gegenpol entgegen gesetzt werden!
Die positive Entwicklung der Unterstützerzahlen auf unserer Seite ist auch genau damit zu erklären. Wer einmal mit dabei war sieht die Notwendigkeit und Dringlichkeit und kämpft immer weiter, denn wir dürfen und werden uns von reaktionären und diskriminierenden Horden nicht einschränken lassen und die Ordnungsbehörden werden uns auch nicht einschüchtern!
Es geht um unsere Grund- und Menschenrechte!
Diese werden wir verteidigen, rechnet mit uns!
STONEWALL was a RIOT!